Freitag, 23. September 2016

Erster Tag Jerusalem

Frühstück um 8 Uhr nach einer sehr kurzen Nacht. Wir waren erst um 2:30 Uhr im Hotel, weil einer unserer Mitreisenden sein Koffer nicht finden konnte bei der Gepäckabholung. 20 bis 30 Gepäckstücke waren irgendwo gelandet, aber nicht dort, wo sie sein sollten.
Am Vormittag machen wir einen Stadtrundgang vor allem im jüdischen Teil Jerusalem, wir kommen an die Klagemauer und wir sind am Fuße des Tempelbergs und sehen uns archäologische Ausgrabungen an. Diese seit Jahrtausenden umstrittene Stadt ist heute genauso umstritten und jede Ausgrabung ist immer auch ein Politikum in der Stadt. 

Die Klagemauer ist der verbliebene Rest des zweiten Tempels, der im Jahr 70 n. Chr. durch römische Truppen zerstört wurde. Der anschließend auf dem Tempelberg errichtete Jupitertempel wurde im 7. Jh. durch Muslime zerstört und an seiner Stelle der Vorläufer des heutigen Felsendoms und im 8. Jh. die Al-Aqsa-Moschee errichtet. Am Freitag ist ebenso der hölzerne Aufgang zum Tempelberg gesperrt - um Konflikte zwischen Juden und Muslimen nicht anzuheizen. Schließlich hat dies vor einigen Jahren zum Ausbruch der zweiten Intifada geführt, als der Ministerpräsident Ariel Scharon genau dies tat. 
Die Ernsthaftigkeit, mit der Juden an der Klagemauer beten, fasziniert mich. An die Klagemauer kann man nur gehen, wenn man sich eine kleine, weiße oder schwarze Kopfbedeckung, eine Kippa, aufsetzt. Strenggläubige Juden tragen unterschiedliche Arten von Kopfbedeckungen: einen schwarzen Hut, unterschiedlich große Pelzhüte oder eine Kippa. Die Kopfbedeckung beschreibt die Zugehörigkeit zu einer der Ausprägungen als orthodoxe Juden, als Charedim oder Chassidim, und ist damit auch ein Gradmesser der Intensität der religiösen Alltagspraxis. Nicht zu vergessen sind Schläfenlocken bei Männern - und in einigen Familien auch bei Jungs.
Nach der Besichtigung einiger weiterer Ausgrabungen, vor allen Dingen aus dem römischen Teil Jerusalems, so des Cardo maximus, einer römischen Einkaufsstraße, deren Reste 6m unter dem Niveau des heutigen Jerusalem liegen, gehen wir in die Grabeskirche.
Es unglaublich wie viele Menschen in eine so kleine Kirche gehen können, die von Katholiken, orthodoxen, armenischen und koptischen Christen gleichermaßen verwaltet wird. Hier soll Jesus gekreuzigt und begraben worden sein.
So ernsthaft, wie die russisch-orthodoxen Christen es meinen, indem sie zum Beispiel kleine Tücher auf den Salbungsstein oder den Felsen, an dem Jesus gekreuzigt worden sein soll, halten, und daraus Kraft schöpfen, kann ich die Grabeskirche nicht nehmen. Dafür ist viel zu viel los.Unmittelbar hinter dem Platz vor der Kirche sind vielerlei Souvenirläden zu finden. Araber verkaufen christliche wie jüdische religiöse Symbole, orthodoxe Ikonen und alle Arten von billigem Schmuck. Im an die Grabeskirche angrenzenden christlichen Viertel, dem "Muristan", essen wir Falafel.
Am Nachmittag suche ich den Weg zur Via Dolorosa, dem Leidensweg Jesu, auf, der eine Reihe von Stationen aufweist. Zunächst aber verlaufe ich mich. Ich laufe im muslimischen Basar umher und knapp vor Beginn des jüdischen Shabbat finde ich mich am Eingang zur Klagemauer wieder.
Nach einiger Suche finde ich schließlich eine Straßenkreuzung, an der die Via Dolorosa entlangläuft. Viele Menschen begegnen mir.
Juden sind auf dem Weg nach Hause oder zu Synagoge. Arabische Händler sitzen gelangweilt vor ihren Geschäften, denn diese laufen schlecht am Freitagnachmittag. Dies gilt für Souvenirläden genauso wie für Lebensmittelgeschäfte oder Bäckereien. Muslimische Frauen verkaufen Obst und Gemüse auf dem Boden der Straßen des Souk. An einer Straßenecke der Via Dolorosa ist ein provisorischer Checkpoint aufgebaut, israelische Polizisten trennen Araber und Juden voneinander. Hier ist auch der Eingang zum österreichischen Hospiz. Auf dem Dach sind schon drei arabische Jugendliche,  die im Abstand von zehn Sekunden über eine halbe Stunde lang Fotos von der Kuppel der Al-Aqsa-Moschee machen. Ich mache es Ihnen nach, aber mir reichen zwei Fotos. Dieses Gebäude ist eine Oase inmitten der hektischen Freitagnachmittagaktivitäten. Am Abend dann kommen uns nur noch jüdische Familien entgegen, die fröhlich die Straße entlang laufen Entweder kommen sie von der Synagoge oder sie gehen in die Synagoge. Beim Abendessen im Hotel stimmen einige jüdische Familien Lieder an und es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Übrigens:
Der Aufzug fährt am Shabbat von alleine. Vom Erdgeschoss geht es in den siebten Stock, von da aus Stockwerk für Stockwerk zurück ins Erdgeschoss. Nach dem jüdischen Gesetz wird am Sabbat nicht gearbeitet. Dazu gehört auch das Bedienen des Aufzugs.
Freitag Mittag an der Klagemauer
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Blick von dem römischen Cardo maximus auf die Altstadt

Via Dolorosa: Stationen des Kreuzweges sind mit schwarzen Tafeln an den Häuserwänden gekennzeichnet; im Hintergrund israelische Soldaten vor dem Eingang zum österreichischen Hospiz
Guide Uriel Kashi stellt die Konflikte zwischen den christlichen Kirchen um die Zuständigkeit über die Grabeskirche vor. Sichtbares Beispiel ist die seit 1842 unverändert am mittleren Fenster stehende Holzleiter, über die seinerzeit Mönche bei verschlossenem Tor in die Kirche gelangen konnten. Seit nunmehr über 170 Jahre können sich die christlichen Kirchen nicht darüber einigen, was mit der Leiter passieren soll.
Betende Pilger am Salbungsstein in der Kirche
Blick von der Dachterrasse des österreichischen Hospizes auf die Al-Aqsa-Moschee

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