Sonntag, 2. Oktober 2016

Zehnter Tag Jerusalem

Nach der Hektik des letzten Tages in Bethlehem suche ich am heutigen Tage den ruhigeren Teil der Stadt in Westjerusalem auf. Ich wache früh auf und fahre mit Straßenbahn und Bus zum israelischen Parlament, der Knesset. Doch entgegen der Informationen des Reiseführers kann ich keine Führung mitmachen. Tatsächlich ist es hier aber menschenleer - bis auf die überall präsenten Sicherheitskräfte. Ab diesem Nachmittag ist ein hoher Feiertag: das jüdische Neujahrsfest, Rosh Hashana, wird die nächsten beiden Tage begangen.
Ich warte die Öffnung des nahegelegenen Israel - Museums ab und besichtigen verschiedene Abteilungen dieses großartigen Museums. Weil Ferien sind, sind einige Familien unterwegs. Ein Vater erklärt seinem Sohn anhand des Modells des Tempelbergs, wie dieser aussah und am Sarg des Königs Herodes, wie dieser geherrscht hat. Eine Mutter läuft mit ihren Kindern durch die Ausstellung jüdischer Kultgegenstände, die die unterschiedlichen Ausprägungen des jüdischen Glaubens in allen Teilen der Welt zeigen. Es ist schön zu erleben, wie diese Teile der Arbeit kulturellen Identität von einer Generation zur anderen weitergegeben werden.
Plötzlich mahnt mich ein Wärter, das Museum zu verlassen. Es schließt wegen des Feiertags früher - ebenso wie alle jüdischen Geschäfte - weshalb ich leider die Schriftrollen aus Qumran nicht mehr sehen kann.
Ich fahre mit dem Bus in den wohlhabenden Süden Jerusalems, was mir beim Einkauf bewusst wird. Die Straßen sind voller Menschen, die für das Neujahrsfest einkaufen - schließlich beginnt das Jahr 5777!
Der Weg zur Altstadt ist heiß, mindestens 32 Grad. Am Alten Bahnhof, der die Stadt mit Tel Aviv verband und schon zu britischer Mandatszeit vor 1948 wegen vielerlei Anschläge der Hagana, der paramilitärischen zionistischen Untergrundbewegung vor der Unabhängigkeit Israels, wieder geschlossen wurde, trinke ich eisgekühlten Kaffee. Seitdem die Züge nicht mehr fahren, gibt es nur noch Straßenverbindungen nach Tel Aviv.
Auf dem Weg in die Altstadt begegne ich vielen orthodoxen Juden, die schnellen Schrittes zu einer der vielen Synagogen gehen, um das traditionsreiche Fest zu beginnen. Das jüdische Viertel brummt - alle sind festlich gekleidet, die Männer in unterschiedlichen Gewändern und je nach Ausprägung mit verschiedenen Kopfbedeckungen, die Frauen in Kleidern und oft mit Kopftüchern. Auf dem Platz vor der Hurva-Synagoge begrüßen sich die Familien freudig, Kinder tanzen und spielen...
Oberhalb der Klagemauer begegne ich einem jüdischen Altstadtbewohner zum zweiten Mal. Vor einigen Tagen hatte er mir nach Einbruch der Dunkelheit einen sicheren Weg von den Dächern oberhalb der Grabeskirche zum Jaffator gezeigt. Um zu meiner Unterkunft am Damaskustor zu kommen, muss ich immer das arabische Viertel durchqueren. Viele Polizisten säumen die Straßen, Händler wollen mir vieles verkaufen und an der Via Dolorosa kommt mir schließlich eine polnische Pilgergruppe mit vielen Frauen und einigen Männern entgegen, die mit einem großen Kreuz den Weg Jesu zur Kreuzigung in der heutigen Grabeskirche nacherleben wollen... Ein Priester liest an jeder Station einen Abschnitt der Leidensgeschichte und stimmt einen Gesang an oder spricht ein Gebet.
Die Gegensätze, die sich in der 1-2 Quadratkilometer großen Altstadt ballen, sind sehr gewöhnungsbedürftig...
Der Sarg Herodes des Großen (73-4 v. Chr.)
Eine Mutter erklärt ihren Kindern jüdische Kultgegenstände aus aller Welt
An der ehemaligen Bahntrasse Tel Aviv - Jerusalem
Eisgekühlter Kaffee mit Zuckersirup
Ein Mädchen - für Rosh Hashana festlich gekleidet - nahe dem Davidsgrab
Orthodoxe jüdische Männer - große Pelzhüte ("Schtreimel") tragend - auf dem Weg in die Synagoge, bei 30 Grad!
Auf dem Platz vor der Hurva-Synagoge

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